Tag 5: 7. August 2002

 

Das ist der Beweis: Verglichen mit Rudi Eberts Strapaze 1954 ist die Tour 2002 doch eher eine “Kaffeefahrt”...

Die Ventil-Inspektion der Sprenger-V35 bei herrlichem Sonnenschein in der Fußgängerzone vor dem Hotel gibt das Geheimnis des rauchenden linken Zylinders preis. Nach dem Lüften des Ventildeckels verschönert ein dort nicht erwarteter Schwall Öl das historische Pflaster der Altstadt und Manfred verlangt hektisch nach weiteren Putzlappen, sehr besorgt um Schadensbegrenzung. Kritische Blicke benachbarter Ladenbesitzer mussten ignoriert werden. Mit einem aufgesteckten Schlauch wird anschließend die Funktion des Motorentlüftungsventils überprüft ­ arbeitet bestens. Die nicht vollkommen freie Ölrücklaufbohrung des linken Zylinders sorgte für heftige Ölverbrennung über die Ventilschäfte.

Start 10.30 Uhr, erster technischer Stopp genau 4,5 Kilometer und 15 Minuten später. Die Keller-V35 verlangt nach einer neuen Zündkerze am rechten Zylinder und die Zwangspause erlaubt einen erstaunten Blick auf die Sprenger-V35. In der morgendlichen Hektik wurde der Ölmessstab dort nicht korrekt eingeschraubt und die Maschine hat sich ziemlich vollgesabbert. Mittlerweile glaubt das ganze Team endgültig an telepathische Kontakte der Victorias untereinander, andere Erklärungen gibt es dafür nicht. Zwei Kurven weiter hätte Manfred der verölte Hinterradreifen zum Verhängnis werden können. Wegen des verzögerten Timings an diesem Morgen besteht Manfred als einziger Guzzi- Treiber nicht mehr auf eine Visite des Werkstores der Guzzi Fabrik in Mandello- del- Lario. Len Thesing will trotzdem daran festhalten weil die von ihm geliebte Garelli- Fabrik schon aus dem Zeitplan gestrichen werden musste, sein Kommentar: Wir sind nicht nur zum Fahren hier, wir wollen noch etwas anderes sehen als den Straßenasphalt.

Moto Guzzi Fabrik in Mandello del Lario:
Deutsch- italienisches V-Motoren-Treffen.
Unten: Das gibt es eigentlich nicht: Wir treffen die V8- Guzzi Rennmachine aus den 50ern zusammen mit ihrem Schöpfer Signore Tonti, und hören den V8 brüllen!

Gesagt getan, um 11.20 Uhr steht die Truppe vor dem Werkstor zum legendären Fotoshooting: Einziger deutscher V -quer
trifft auf einzigen italienischen V- quer! Kurze Zeit später gesellt sich der Pförtner interessiert hinzu und der Versuchsfahrer, der eben noch auf einer Guzzi- Neuentwicklung das Werkstor passiert hat, steht auch in der Runde. Die verbale Rettung kommt in einem weiteren Guzzi- Mitarbeiter hinzu, der die englischen Sprache beherrscht und dem die Erklärungen zu den Aktivitäten geschildert werden. Die Umstehenden sind begeistert und Guilio Rompani, so heißt der Guzzist, erklärt sich spontan bereit, eine Führung durch das eigentlich wegen Umbaus geschlossene Werksmuseum zu machen, wegen der knappen Zeit aber im Schnelldurchgang. Der beeindruckende Weg durch die massive Ansammlung von 80 Jahren werkseigener Zweiradhistorie dauert dann über eine Stunde, drunter ist nichts zu machen und alle Guzzisten haben Verständnis, bleiben locker und niemand droht mit Rauswurf. Zum eigentlichen Spektakel des Tages wird der Probelauf einer von zwei noch existierenden 500er V8-Rennmaschine (richtig gelesen, V-8-Zylinder!) von 1957, die just in dem Moment mit Schiebestart zum Leben erweckt wird, als die Victorianer den Hof überqueren. Hektik pur bricht aus und die Kameraauslöser laufen warm, als sich auch noch der Konstrukteur der V-8-Modelle, Signore Tonti, betagt und mit Gehstock dazugesellt, weil er wie zufällig auf dem Werksgelände herumspaziert. Da hat wohl wieder die Telepathie unter den Zweirädern zugeschlagen, soviel Zufälle auf einmal gibt es normalerweise nicht.
Zufall Nummer zwei an diesem Tag: Auf der Strada Nr. 38 nach Bormio in Richtung Stilfser Joch, der Gavia- Pass gehörte auch 1954 nicht zum Streckenverlauf auf dem Rückweg, verabschiedet sich genau 50 Meter vor der Einfahrt in einem 8 Kilometer langen Tunnel eine Zündkerze an der Sprenger V35 ­ Zufall oder nicht ­ im Tunnel und ohne Seitenstreifen wäre das ungemütlich geworden.

Um 18.30 Uhr trifft die Victoria-Mannschaft wie geplant in Naturns ein und Heiner eilt beim ersten hörbaren Bergmeister-Motorgrummeln aus der Pension, um seine Truppe zu begrüßen. Es geht ihm schon wesentlich besser und über einen vorzeitigen Abbruch der Tour will er nicht mehr nachdenken. 242 Tageskilometer sind das Steckenfazit.

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Die Tour im Überblick:

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